Hilal Sezgin teilt ihren „Lebenshof “ in der Lüneburger Heide mit „empfindungsfähigen Wesen“. Als Autorin und Aktivistin erzählt sie, warum Schafe mehr sind als „Deichdekoration“ oder eine „diffuse Masse wolkiger Wollknäule“ und was Veganismus mit Tierrechten und Umweltschutz zu tun hat.
Eigentlich hatte Hilal Sezgin nie geplant, mit Tieren auf ihrem Hof zu leben. Ein Rückblick: 2007 zieht die freiberufliche Autorin von Frankfurt am Main nach Lüneburg. Sie will mehr Bücher schreiben. Aus der Nachbarschaft übernimmt sie eine kleine Schafherde, die schnell von 14 auf 44 Tiere wächst. Nach und nach kommen Gänse, Ziegen, Hühner, Katzen und Kaninchen dazu. Das habe sie sehr gefordert, nicht nur körperlich. Schließlich wollen die Tiere nicht nur vor der Schlachtung gerettet werden, sondern auch gut versorgt sein. Hilal Sezgin schließt die Wesen ins Herz, teilt ihre Freude und ihr Leid. Alle Fertigkeiten zur Pflege eignet sie sich selbst an. Das werde mit zunehmendem Alter der Tiere immer aufwändiger, denn „für Schafe gibt es kein Seniorenheim“. Heute nennt sie ihr Zuhause liebevoll Lebenshof: „Das Leben bringt einen in bestimmte Situationen und die muss man eben möglichst gut bewältigen.“ Verbündete findet sie in Freunden und der Familie, in der Tierrechtsbewegung und in Büchern. Das macht Mut! Trotzdem empfiehlt die Realistin, lieber bestehende Höfe zu unterstützen, statt alleine artenreiche Verantwortung zu tragen.
Die meisten Lebenshöfe, besser bekannt als „Gnadenhöfe“, können keine Tiere mehr aufnehmen; ihre Kapazitäten sind finanziell, räumlich und personell ausgeschöpft. Ebenfalls in der Lüneburger Heide liegt zwischen Wiesen und Wäldern bei Walsrode das Heim der Tierschutzgemeinschaft e.V. Etwa 130 Tiere leben hier. Ihre menschlichen Mitbewohner sind seit über 50 Jahren „dem Schutz und dem Erhalt der Würde eines jeden Wesens“ verschrieben. Das funktioniert nur mit Spenden und ehrenamtlicher Hilfe. Wer unterstützen möchte, kann Patenschaften übernehmen und die Schützlinge nach Absprache vor Ort besuchen.
Lebenshöfe vertreten durchaus politisch eine „radikale Ethik“, erklärt Hilal Sezgin. „Wir wollen zeigen, dass Lebewesen keine Nutztiere sind. Mit dem Begriff versuchen wir Menschen zu rechtfertigen, was wir ihnen antun.“ Kein Tier hebt von selbst die Pfote und sagt: „Ja, ich will mal eine Milchkuh oder ein Mastschwein werden.“
Umliegende Bio- und Freilandhöfe verwandeln die langjährige Vegetarierin in eine Veganerin – zu verzweifelt hätten die Kühe nach ihren Kälbern gerufen; zu erschöpft hätten die Hennen nach einem Jahr in Legebatterien ausgesehen, wo sie „wie kleine Maschinchen Eier legen“, erinnert sich Sezgin. „Wie in einer Fabrik: Da kann auch mal eine Schraube runterfallen, Hauptsache es kommen genug Schrauben an. Aber Tiere sind eben keine Schrauben.“
Nicht nur „politische Veganer“ schimpfen gegen Massentierhaltung, in der Individuen nur wenige Cents wert sind, solange sich das System insgesamt lohnt. Doch wie sonst sollte der massive Konsum tierischer Produkte für eine Gesellschaft mit vielen Menschen und wenigen Landwirten möglich sein?
Immer mehr „kritische Konsumenten“ wählen deshalb pflanzliche Ernährung. Der Umsatz durch vegane Alternativen wie Hafermilch, Gemüseaufstrich und Sojahack hat sich in Deutschland innerhalb den letzten zwei Saisons nahezu verdoppelt. Das fördert die Gesundheit und spart Wasser, Fläche und Emissionen. Eine Vielfalt an Ratgebern und Rezepttipps weist auf Genussgipfel und Geschmacksoasen.
Auch Hilal Sezgin schreibt über Veganismus. In ihren Werken argumentiert sie, dass Tiere empfindungsfähige Wesen sind, „mit Wahrnehmung ihrer Umgebung und ihres Lebens. Sie können Leid empfinden, aber auch Freude und Langeweile. Sie wollen leben und wir dürfen sie nicht töten.“
Auch Fleischesser sind eingeladen, ihre Bücher und Artikel zu lesen – und sei es nur, um die eigene Meinung zu reflektieren. Wir seien an die „allgemeine und selbstverständliche Tierausbeutung“ gewöhnt, an eine klare Hierarchie zwischen Menschen und anderen Lebewesen, sagt Hilal Sezgin. Für die Autorin beginnt das bereits bei der Sprache: „Nennen wir Tiere Fleisch? Sagen wir, sie verenden; sie wurden produziert?“ Der Reiz des Schreibens sei, Geschichten für Menschen „verdaulich“ zu erzählen, als „lange, freundliche Kommunikation mit Leserin und Leser“.
Hilal Sezgin will privat und öffentlich respektvollere Formen des Zusammenlebens vorschlagen. Diese „Inseln für Utopien“ gestalten gemeinsam eine bessere Welt, statt allein von ihnen zu träumen. Nur so können Tiere „auf dieser Erde leben, um ihrer selbst willen, so wie wir.“
Weitere Informationen:
- Kampagnen für Tierschutz: www.albert-schweitzer-stiftung.de
- Helfer erfreuen Lebenshof und Bewohner: www.tierschutzgemeinschaftwalsrode.de
- Veggi-Challenge mit vielen leckeren Rezepten: www.proveg.com/de
Buchempfehlung:
Wieso? Weshalb? Vegan!
Warum Tiere Rechte haben und Schnitzel schlecht für das Klima sind.
Fischer Verlag
Dieser Artikel wurde im Lüneburger Stadtmagazin Quadrat 5-2021 leicht verändert erstveröffentlicht. Die Bildrechte liegen bei Hilal Sezgin.