Ökonomin Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität. 2016 wurde sie in den Sachverständigenrat für Umweltfragen berufen und sitzt im Präsidium der deutschen Gesellschaft des Club of Rome. Sie erhielt den Deutschen Solar- preis sowie den Adam-Smith-Preis für Marktwirtschaftliche Umweltpolitik. Die Wissenschaftlerin ist eine mehrfach ausgezeichnete Spitzenforscherin und gefragte Expertin für Politik und Medien.
Welche Potentiale bieten erneuerbare Energien für Zukunftsstädte?
Erneuerbare Energien bieten enorme Chancen für die Städte der Zukunft. Sie sind vor allem im Gebäude- und Verkehrsbereich vielfältig einsetzbar. Mit Solarenergie auf den Dächern können ganze Quartiere Teil der Energiewende werden, indem sie erzeugte Energien nicht nur selbst nutzen, sondern mittels dezentraler Speicher und Digitalisierung auch in der Nachbarschaft handeln. Der Ökostrom kann übrigens ebenfalls für Elektromobilität genutzt werden. Ergänzend kann Nah- oder Fernwärme in Städten mittels Biomasse Kraft-Wärme Kopplungsanlagen hergestellt werden. Erneuerbare Energien sind in Städten ein wertvoller Baustein der dezentralen Energie-, Verkehrs- und Wärmewende, um Klimaschutzziele zu erreichen.
In Lüneburg sehen wir viel davon schon heute: von der Förderung nachhaltiger Mobilität inklusive ÖPNV bis hin zu sicheren Fahrradwegen. Besonders spannend sind auch die Reallabore der Zukunftsstadt 2030+, die neue Arbeitsformen, Chancen der Digitalisierung oder nachhaltige Wohnprojekte erforschen. Die Leuphana Universität ist führend im Bereich der Nachhaltigkeitsforschung, die Stadt ihrerseits wendet wegweisend viele jener Erkenntnisse an. Lüneburg ist Vorreiter und hat zu Recht schon 2014 den deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen.
Wie können wir Krisen für nachhaltige Entwicklung nutzen?
Indem wir die Krise auch als Chance für Veränderung und Wandel begreifen. Corona ändert derzeit alles, daraus können wir eine Menge lernen. Viele Dinge, die vorher utopisch schienen, werden auf einmal möglich: sichere Fahrradstraßen statt auto-fixierter Verkehrspolitik; Home-Office, Videokonferenzen und sogar virtuelle G20-Gipfel statt Diesel-Dienstwagen und Kerosin-Flügen um den halben Globus. Zur Überwindung der Krise bedarf es vor allem lenkender Impulse und entschlossener Investitionsbereitschaft vom Staat. Den „Neustart“ nach der Pandemie sollten wir dazu nutzen, Verkehr dauerhaft zu vermeiden, zu verlagern und zu verbessern. Kurzstreckenflüge sollten komplett abgeschafft, schnelle Schieneninfrastruktur stattdessen mindestens verdreifacht werden. Staatliche Fördermittel sollten an die Bedingung geknüpft sein, dass Unternehmen von fossilen Energiequellen auf klimaschonende Technologien umsteigen und dass klimaschonende Antriebe im Schienenverkehr und im ÖPNV, aber auch im Schiffs-, Flug- oder Schwerlastverkehr zum Einsatz kommen. Es kann nicht einfach so weitergehen, als wenn nichts passiert wäre. Covid-19 muss unser Denken und unser Handeln verändern. Sonst bezahlen wir die Rettung aus der einen Krise blind mit den Kosten der nächsten Krise.
Wie würden Sie die Welt verbessern?
Ich würde jegliche Vorteile konventioneller Energien samt Barrieren für eine Vollversorgung mit erneuerbarer Energie abschaffen, insbesondere fossile, umwelt- und klimaschädliche Subventionen. Gleichzeitig würde ich die vollen Kosten aller Umwelt- und Klimaschäden von den wahren Verursachern tragen lassen. Global.
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Dieser Artikel wurde im Lüneburger Stadtmagazin Quadrat 12-2020 leicht verändert erstveröffentlicht.
Foto: Claudia Kemfert/ © Oliver Fiegel