Plastikflut – was tun?

Leben ohne Plastikverpackungen – ist das möglich? Gemeinsam mit meiner Studiengruppe erforsche ich die komplexe Plastikproblematik und wage den Selbstversuch. Hier möchte ich meine Erlebnisse und Erfahrungen mit Ihnen teilen.

Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich eine Welt ohne Plastik vor. Schwierig, oder? Kunststoff ist aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenken. Seit seinem Aufstieg im 20. Jahrhundert überzeugt das leichte, günstige und vielseitige Material vor allem in Form von Verpackungen. Die macht mehr als ein Drittel der weltweiten Produktion von über 400 Millionen Tonnen aus und landen meist nach einmaliger Verwendung in der Tonne – und dann?
Im Stadtgebiet Lüneburg verantwortet die Firma Nehlsen Cohrs GmbH die Abholung der Gelben Säcke. Von den Haushalten werden jedes Jahr rund 2.500 Tonnen in Sortieranlagen transportiert – während des Lockdowns sogar mehr Wagenladungen als üblich. Dort werden die Abfälle aufgeteilt. Stofflich wiederverwendbare Materialen wie Aluminium und „pures“ Plastik bekommen ein neues Produktleben. Die übrigen fast 50 Prozent werden „energetisch verwertet“ – sprich verbrannt. Dazu gehören zum Beispiel Fehlwürfe, aber auch Mischstoffe.
Deutschland exportiert rund ein Sechstel aller heimischen Abfälle, schreibt der Plastikatlas der Heinrich-Böll-Stiftung. Insgesamt 986.000 Tonnen gelangen vor allem über Malaysia, die Niederlande und die Türkei in die ganze Welt. Der tatsächliche Verbleib sei „vollkommen unklar und unkontrolliert“, kritisiert Greenpeace. Langlebiger Kunststoffmüll und Mikroplastik in der Natur haben gesundheitsgefährdende Konsequenzen für Mensch und Umwelt – das hat sich inzwischen herumgesprochen.

Lösen wir das Plastikproblem, indem
wir weniger Verpackungen kaufen?

Wie lösen wir das Plastikmüllproblem? Indem wir weniger Kunststoffe konsumieren, also weniger produzieren, kaufen und wegwerfen. Leichter gesagt als getan! An der Leuphana Universität Lüneburg testen sechs Studentinnen zwei Wochen lang, ob ein Leben frei von Plastikverpackungen möglich ist. Eine davon bin ich.

Frei von Plastikverpackungen im Selbstexperiment

Zuerst sammeln wir zwei Wochen lang jeden Schnipsel, der normalerweise unseren Gelben Sack füllt. Die Menge zeigt mir die Ausmaße meiner persönlichen Plastikflut. „Aus den Augen, aus dem Sinn“ gibt es nicht mehr. Danach dreht sich zwei Wochen lang alles ums Minimieren. Mein erster Einkauf ist eine Herausforderung. Auf der Suche nach unverpackten Lebensmitteln greife ich vielfach zu Obst und Gemüse. Joghurt und Aufstrich finde ich in schweren Gläsern und nur von teuren Biomarken, Haferflocken zum Glück in Papier; Süßigkeiten und Knabberzeug kommen nicht in die Tüte. An der Käsetheke bitte ich darum, die Plastikfolie wegzulassen und bilde mir ein, zuschauenden Kunden ein Vorbild zu sein. Zuhause mache ich mich gleich ans Kochen. Heute probiere ich ein neues Rezept. Weil es einige Zutaten nicht ohne unfreiwilligen Kunststoffzukauf gibt, experimentiere ich und freue mich über ein kreatives Gericht.
In den nächsten Tagen melde ich mich bei Koko e.V. an, einer studentischen Initiative. Der Lebensmittelladen wird schon seit 20 Jahren auf Vertrauensbasis und ohne Profite auf dem Campus Rotes Feld organisiert. Hier finde ich allerlei Trockenware wie Nudeln und Reis und endlich auch meine heißgeliebten Nüsse, von denen ich gleich eine große Portion in mitgebrachte Behälter fülle. Alles wiege und rechne ich selbst ab – zu kleinen Preisen, dank großer Bestellmengen. Gezahlt wird im Voraus mit einer Gutschrift auf das Gemeinschaftskonto. Leider können bisher nur Studierende mitmachen, um den ehrenamtlichen Rahmen nicht zu sprengen.
Während des Experiments gehe ich zum Mittagsmahl oft in die Mensa. Hier muss ich mir keine Gedanken um Plastikabfälle machen, die bekomme ich nämlich nicht zu Gesicht. Wie viel davon wohl bei Produktion und Transport anfallen, von denen ich als Endverbraucherin nichts weiß?
Gleichzeitig entdecke ich in Lüneburg zahlreiche Gelegenheiten zum plastikfreien Einkauf. Ob in der Unverpackt-Abteilung eines Supermarktes oder in einem jungen Spezialgeschäft – die Angebote werden immer besser und auch der lokale Wochenmarkt lockt mit bunter, frischer und gesunder Vielfalt.
Je mehr Lösungen wir finden, desto leichter fällt uns der Verzicht. Doch da zeigt sich ein neues Problem: Der Wissenschaftler Michael Braungart verrät, dass Polyesterklamotten unzählige Plastikpartikel verlieren. Sind Kleider auch Verpackungen? Mittlerweile bin ich auf festes Shampoo und Seife umgestiegen und habe seither unter der Dusche ein besseres Gewissen. Am Wochenende traue ich mir zu, Lippenpflege aus rein natürlichen Rohstoffen herzustellen – auf das Ergebnis bin ich sehr stolz. In meiner Projektgruppe freuen wir uns gemeinsam über Erfolgserlebnisse, teilen Herausforderungen und tauschen Geheimtipps aus. Die Unterstützung macht Spaß. Sie fördert zudem unsere Motivation. Allmählich gewöhne ich mich an den Mehraufwand des bewussten Entscheidens. Da steht mir eine anstrengende Aufgabe bevor: Während einer Nachtschicht lehne ich drei (!) Schokoriegel ab. Gedankenverloren öffne ich dann doch eine Packung Gummibärchen und bemerke was übrigbleibt erst, als die Verpackung bereits leer ist. Dann rutscht das Selbstexperiment auf Rang zwei meiner Prioritäten. Die Nacht wird durchgenascht. Es ist nicht leicht, alte Verhaltensmuster aufzugeben.

Mein erster Eindruck: Die Umgewöhnung braucht Disziplin und Zeit, dafür esse ich frischer und gesünder. Das System sollte umweltfreundliches Handeln erleichtern und belohnen. Wir selbst sind ein kleines, aber wichtiges Zahnrad darin. Was bleibt nach dem Experiment? Ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Ich habe Einfluss auf meinen Plastikverbrauch. Diese Entscheidung kann jeder Mensch frei treffen.

Weiterführende Informationen:

  • Plastikatlas 2019 der Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem BUND
  • 15 einfache Tipps zum plastikfreien Leben

Dieser Artikel wurde leicht verändert im Lüneburger Stadtmagazin Quadrat 02-2021 erstveröffentlicht. Die Fotos wurden von Pia Dittmer und mir aufgenommen. Die Daten und Fakten sind ggf. nicht mehr aktuell.

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