Stefan Schaltegger im Interview: Kreative Zerstörung durch nachhaltiges Unternehmertum

Prof. Dr. Stefan Schaltegger ist Professor für Nachhaltigkeitsmanagement und Leiter des Centre for Sustainability Management der Leuphana Universität. Als ausgezeichneter Wirtschaftswissenschaftler lebt und lehrt er seit 1999 in Lüneburg, wo er 2003 den weltweit ersten MBA Studiengang für Nachhaltigkeitsmanagement einführte. Er weist über 500 Veröffentlichungen auf und zählt gemäß des World Scientist Ranking 2020 zu den zwei Prozent der meistzitierten Wissenschaftler weltweit. Stefan Schaltegger ist Jurymitglied des Deutschen Nachhaltigkeitspreises und des Next Economy Awards für nachhaltige Start-ups.

Was bedeutet Nachhaltigkeit für Unternehmen?

Die Zukunft der Wertschöpfung ist eine nachhaltige Wirtschaft. Da Umwelt- und Sozialprobleme weltweit zunehmen, wächst die Diskrepanz zu vielen bestehenden Geschäftsmodellen. Dies erfordert unweigerlich einen grundlegenden Wandel. Dabei können Kooperationen mit Universitäten in Forschungsprojekten oder mit Umwelt- wie Sozialverbänden völlig neue Wege ermöglichen. Ein Grundsatz nachhaltigen Unternehmertums ist die „kreative Zerstörung“ des Nicht-Nachhaltigen durch überzeugende, nachhaltige Alternativen. Wenn Lösungen dagegen auf großen Widerstand stoßen, kann dies für Unternehmen existentielle Risiken verursachen. Beispielsweise versuchten einige Firmen lange, die Energiewende zu verhindern und verloren dabei Marktanteile. Heute zählen sie zu den größten Investoren in regenerative Energieanlagen. Automobilanbieter optimierten den Verbrennungsmotor, bis Ingenieurabteilungen die Emissionswerte nicht weiter mindern konnten und eine Schummel-Software einführten. Aus der Krise heraus erfolgt nun ein Wandel, der Milliarden kostet. Hätte man die Gelder für die Schadensersatz und Buße vorher in Ladeinfrastruktur und Elektro-Modelle investiert, würden wir heute ganz woanders stehen.

Wie können kleine bis mittelständische Unternehmen erfolgreich nachhaltig(er) wirtschaften?

Einen erfolgreichen Pauschalansatz gibt es bei der Vielfalt an Unternehmen nicht. Klar ist, dass Nachhaltigkeitsberichte, gut gemeinte Spenden und Papierrecycling nicht ausreichen, wenn das Kerngeschäft unverändert bleibt. Daher empfehle ich Führungskräften folgende Fragen zu stellen, um das Unternehmen zukunftsfähig umzugestalten: Verursacht oder löst unser Kerngeschäft – inklusive Lieferketten, Produktnutzung und Entsorgung – Nachhaltigkeitsprobleme? Wo Probleme entstehen, fragen Sie bitte, was die radikalste denkbare Lösung wäre, und entwickeln Sie darauf aufbauend Ihr neues Kerngeschäft.

Verursacht oder löst unser Kerngeschäft Nachhaltigkeits-probleme?

Können Sie das an Beispielen illustrieren?

Für einen Wursthersteller, der Fleisch aus der Massentierhaltung bezieht, heißt dies: Wie kann vegane und vegetarische Wurst Kundinnen und Kunden so überzeugen, dass sie gar nichts anderes mehr wollen? Für einen Hersteller von Insektiziden bedeutet dies, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das Geld verdient, indem es Biotope schafft und Insekten schützt. Für ein Automobilunternehmen bedeutet dies, statt Autos zu verkaufen, Mobilitätsdienstleistungen wie Car- oder Ridesharing so auszugestalten, dass weniger Fahrzeuge und weniger Parkplätze benötigt werden. Zu allen drei Beispielen gibt es Unternehmen, die sich voll in diesem Wandel befinden. Die Überlegung, aus grundsätzlichen, wirksamen Nachhaltigkeitslösungen das Geschäft abzuleiten, kann jedes Unternehmen auf sich übertragen.

Welche Potentiale bietet die Corona-Krise für Nachhaltigkeitstransformation?

Corona und andere Epidemien haben ihren Ursprung größtenteils in Zoonosen, also der Übertragung von Krankheitserregern von Tieren auf Menschen. Die Ursachen von Zoonosen wiederum liegen in mangelnder Nachhaltigkeit. Erstens holen wir Viren zu uns über exotische Tiermärkte und globale Lieferketten. Zweitens gehen wir selbst zu den Viren, indem wir Regenwälder roden und Sümpfe trockenlegen. Dort lassen sich anschließend Menschen und Nutztiere nieder, deren Immunsysteme nicht auf die dortigen Krankheitserreger ausgelegt sind. Drittens schaffen wir Krankheiten mit industrieller Massentierhaltung, wo Tiere in unnatürlichen „Ökosystemen“ gehalten werden. Dass heute weltweit mehr Antibiotika in der Tiermästung als für die Heilung von Menschen eingesetzt werden, zeigt, dass diese Form der Haltung wie ein Inkubator für Krankheitserreger wirkt. Wir werden gegen dieses Corona-Virus impfen können. Aber nur wenn wir nachhaltiger wirtschaften, mindern wir die Wahrscheinlichkeit weiterer viraler Epidemien mit allen Konsequenzen.

Was möchten Sie Lüneburg sagen?

Vor dem notwendigen Wandel sollten wir keine Angst haben, sondern ihn als Chance sehen. Nachhaltigkeit ist nur dann eine Gefahr, wenn man sie ignoriert und missversteht. Wir haben hier in Norddeutschland mittelständische Pionierunternehmen, die an der Weltspitze von Nachhaltigkeitstransformation stehen und als Inspiration dienen können: Die ersten Fair-Trade- und Bio-zertifizierten Schuhe und Rucksäcke entwarf ein ehemaliger Leuphana-Student unter der Marke Melaware. Der Safthersteller Voelkel hat die Firma in eine eigene Stiftung eingebracht, um sicherzustellen, dass der Unternehmenszweck langfristig nachhaltigkeitsorientiert bleibt. Sieger des Next Economy Awards ist dieses Jahr das Lüneburger Startup Rittec mit einer Technologie, die Kunststoffverpackungen auf Polymerbasis herunterbricht und so als Ausgangsstoffe für neue Produkte gewinnt. Das wäre eine Revolution für eine zirkuläre Wirtschaft, die erdölbasierte Kunststoffherstellung ersetzen kann. Nachhaltigkeit ist eine Innovationsquelle und stellt eine enorme Chance dar, sich auszuzeichnen und auch in Krisen stabiler dazustehen. Nutzen Sie dies!

Nachhaltigkeit ist nur dann eine Gefahr, wenn man sie ignoriert und missversteht.

Aktuelle Informationen aus dem Centre for Sustainability Management der Leuphana: www.sustainament.de

Das Interview wurde 2021 im Lüneburger Stadtmagazin Quadrat erstveröffentlicht.

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